Die italienische Verfassung von 1948 verkündet zwar den Minderheitenschutz, doch Italiens autochthone Minderheiten mussten über ein halbes Jahrhundert warten, bevor sie mittels Gesetz 482/99 erstmals offiziell anerkannt wurden. In der Zwischenzeit wurden jedoch bereits Tatsachen geschaffen: Die Sprecherzahlen vieler Sprachen sind zusammengeschrumpft und das Bewusstsein für die eigene Kultur ist bei vielen Menschen, besonders bei den jüngeren Generationen, geschwunden, sodass eine Erholung unwahrscheinlich scheint. Die weiterreichende Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats, welche vielen Gemeinschaften das Überleben und eine freiere Entwicklung sichern könnte, hat der Staat niemals ratifiziert.
Knapp 13 Jahre ist das noch nie ganz umgesetzte Minderheitenschutzgesetz 482/99 nun in Kraft, da wird auch schon an seinen Grundfesten gerüttelt. Erst im Juli hatte das Kassationsgericht geurteilt, die sardische Sprache sei als Dialekt der italienischen Sprache zu betrachten, eine Aussage, die dem sprachwissenschaftlichen Konsens ebenso widerspricht, wie dem Minderheitenschutzgesetz selbst. Geklagt hatte ein Sarde, der vor Gericht die Mitschnitte seiner auf Sardisch geführten Telefongespräche benutzen wollte. In letzter Instanz stellte das Gericht sogar ausdrücklich fest, die einzigen anerkannten Minderheiten seien die französische in Aoûta (Aoste), die deutsche und die ladinische in Südtirol sowie die slowenische in Friaul und Julien. Das sind jene Sprachen, für deren Anerkennung internationaler Druck vorlag — Artikel 6 der italienischen Verfassung war dafür nicht ausschlaggebend.
Mittels Ausgabenkontrolle (spending review) macht sich jetzt auch die Technikerregierung von Mario Monti die Argumentation des Kassationsgerichts zueigen: Um Einsparungen am ohnehin chronisch unterfinanzierten Minderheitenschutz vornehmen zu können, wurden die sardische und die friaulische, die beiden größten autochthonen Minderheitensprachen, kurzerhand als italienische Dialekte definiert, weshalb sie nur noch bedingt in den Genuss der Maßnahmen von Gesetz 482 fallen. Schon der Faschismus erklärte die autochthonen romanischen Sprachen zu italienischen Dialekten, um die Assimilierung zu rechtfertigen und zu erleichtern.
Staatssekretär Polillo hatte jetzt sogar die Frechheit zu behaupten, der Regierung gehe es nicht um die Beschneidung von Rechten, die ja gesetzlich verankert seien, sondern nur um Einsparungen. Mit aktiver Unterstützung von PD und PDL unterwirft diese Regierung mittlerweile alle Bereiche des öffentlichen Lebens — wenigstens offiziell — einer einzigen Logik, nämlich jener des Geldes. Dafür wird billigend in Kauf genommen, dass sprachliche und kulturelle Vielfalt zerstört wird. Selbst die wenigen Unterrichtsstunden in friaulischer Sprache an öffentlichen Schulen stehen auf der Kippe.
Wenn man sich jedoch vor Augen hält, wie unsensibel Rechte und Linke seit jeher mit Italiens Minderheiten umgegangen sind, braucht man sich nicht zu wundern, dass sie diese skandalöse Politik mittragen. Gleichzeitig verursachen sie sogar noch mit der Nationalkunde, die ihnen offensichtlich wichtiger ist, als Minderheitenschutz, neue Kosten.
Was der ohnehin schlechte Minderheitenschutz in Italien wert ist, wird sich jetzt womöglich weisen: Die Region Friaul-Julien erwägt, gegen die Klassifizierung der friaulischen Sprache als Dialekt Verfassungsklage zu erheben.
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