In Südtirol wird über einen Freistaat oder den Anschluss an Österreich diskutiert. Was halten Sie von so einer Diskussion?
Ich habe es in meinem ganzen Leben für eine unglaubliche Bereicherung gehalten, in zwei Kulturen aufzuwachsen und zwei Sprachen zu können. Dies vorausgeschickt halte ich die Debatte für überflüssig. Ich bin mir nicht sicher, ob es um einen Anschluss an Österreich geht. Ich frage meine Südtiroler Bekannten auch immer, ob sie sich bewusst seien, dass, wenn sie Österreich beiträten, sie Nettozahler im österreichischen Finanzausgleich wären. Auch in Österreich gibt es einen Finanzausgleich und Südtirol wäre eines der reichsten Bundesländer. In Wahrheit würden wir das Problem umdrehen: Die italienische Gruppe würde zur Minderheit, ich weiß nicht, was das bringen soll. Man will eine Herauslösung aus Italien, aus welchen Gründen? Was will man noch mehr, als man ohnehin durch das Autonomiestatut bekommen hat? Will man aus Italien heraus, um wie die Lega vom Süden wegzukommen? Dann ist es keine Minderheitenthematik mehr, sondern eine von Reich gegen Arm. Die Frage ist: Wollen wir in diesem Europa zusammenwachsen, und was heißt das?Was heißt das?
Wir haben in Europa eine Form des Sozialstaates ausgebildet, die es nirgendwo sonst gibt. Wenn wir dieses Gemeinwohl bewahren wollen, geht es darum, die Integration der vielen unterschiedlichen Gemeinschaften in Europa zu betreiben, und da ist die Frage, ob Südtirol zu Italien oder Österreich gehört, irrelevant. Als ich klein war, hatte ich immer den Eindruck, Südtirol orientiert sich nach Deutschland, nicht nach Österreich. Österreich war als Nicht-EU-Mitglied überhaupt nicht interessant, außer für Frau Klotz und ihre Anhänger. Das Gros der Südtiroler blickte, ökonomisch gesehen, nach Italien oder Deutschland.
Wenn wir die Europäische Perspektive einnehmen, sind wir in einer anderen Welt, dann ist das nicht mehr relevant.
Also nochmal: Kulturen, die nicht mit andern in einem Austausch stehen, vertrocknen. Es sei denn, jemandem wird unrecht getan, dann würde auch ich auf die Barrikaden gehen. Aber das geschieht den Südtirolern nicht.
Sonja Puntscher Riekmann aus Margreid, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Salzburg, im dieswöchigen ff-Interview.
Ernüchternd, dass auch einer Frau Professor zum Thema Unabhängigkeit nichts anderes einfällt, als
- es pauschal mit Lega, Egoismus oder Umkehrung der Mehrheit-Minderheitensituation gleichzusetzen;
- es zu Mehrsprachigkeit und Kulturaustausch in Widerspruch zu setzen — geradezu, als ob der Nationalstaat die Vielfalt förderte;
- so zu tun, als hätten wir durch die Autonomie alles bekommen und müssten uns in alle Ewigkeit in Dankbarkeit ergießen (»was wollt ihr mehr?«).
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